April 1, 2021

Unsere Bewohnerin Marianne, 97 Jahre alt, wohnt bereits seit 6 Jahren in unserer Residenz. Sie ist schwer dement, kann also kaum kognitiv etwas erfassen , kann  nicht selbstständig essen, spricht nicht mehr.


Das einzige, was wir  von ihr hören, sind unverständliche Laute, die sie hin und wieder von sich gibt. Was will sie uns damit sagen? Wir wissen es meistens nicht, versuchen ihre Wünsche und Gefühle anhand ihrer Gestik zu verstehen.


So lebt sie nun hier bei uns, von der Familie verlassen. Niemand besucht sie, gibt ihr Freude oder die Möglichkeit, sich an die schönen Dinge in ihrem Leben zu erinnern. Wir tun unser bestes, helfen ihr nicht nur bei allen täglichen Herausforderungen.


Wir in der sozialen Betreuung kümmern uns um Marianne,  geben ihr Zuwendung, Vertrauen und Trost. Denn die Gefühle bleiben. Oftmals sitzt sie da in ihrem Rollstuhl und sieht so traurig aus. Teilnahmslos und leer. Ohne Worte sagt sie uns: „bitte hab‘ mich gern“.


Und so wenden wir uns ihr umso intensiver zu, versuchen einen Zugang zu ihr zu finden. Wie können wir es schaffen, dass Marianne  wieder sich selbst und wenigsten ihr gegenüber wahrnimmt. Vielleicht nur für einen glücklichen Moment?!


Basale Stimulation hilft!


Dazu helfen uns verschiedene Techniken, zusammengefasst basale Stimulationen genannt, die beim Betroffenen häufig zu unerwartet schönen Reaktionen führen.


Bei Marianne gab es einen besonders schönen Augenblick. Wie so häufig saß sie in ihrem Rollstuhl am Mittagstisch und schaute teilnahmslos ins Leere.

Auch an diesem Tag habe ich ihr das Essen angereicht. Natürlich auf Augenhöhe und mit Geduld und Wohlwollen, niemals sollte man sich von der „schlechten Stimmung“ des Erkrankten beeinflussen lassen. Auch wenn’s manchmal echt schwerfällt.


Nicht aufgeben!


So fragte ich sie, nachdem sie aufgegessen hatte: „Möchten sie noch etwas mehr essen?“.


Eine einfache, respektvolle Frage. Langsam gesprochen, mit festem Augenkontakt und Mitgefühl. Niemals fordernd, niemals ermahnend im Sinne von „Nun iss‘ doch endlich mal! Das ist wichtig! Du brauchst das!“. Sondern ganz einfach das Schöne hervorhebend. Wie in einem Restaurant. Der Kunde ist König!


Niemals fordernd sein!


Und jetzt passierte das völlig unerwartete, das worauf man jeden Tag hinarbeitet, das was einem ein tiefes Glückgefühl beschert. Denn Marianne sprach plötzlich! Nach mehr als drei Jahren sprach sie, mit einem Lächeln im Gesicht, die Worte: „Ja, bitte!“ Zwei Worte, die mir runtergingen wie Öl.


Jede positive Reaktion ist eine Wohltat - für beide!


Unglaublich, Marianne hatte reagiert, hatte ganz offensichtlich Freude empfunden, die sie mir mitteilen wollte. Genau das sind die Momente, die wir uns alle so sehr herbeiwünschen!


Nach dem Mittagessen fragte ich sie, ob sie nun satt wäre. Und auch jetzt die Überraschung. Marianne antwortete, wieder strahlend, mit einem eindeutigen „Danke“. Wie schön!


Eine Heilung wird es nicht geben


War das ein Schritt zur Heilung? Ein klares Nein, Marianne  hat seitdem nie wieder gesprochen und dieser Moment ist nun schon wieder ein Jahr her. Und trotzdem probiere ich jeden Tag aufs Neue, wieder einen solchen schönen Moment zu kreieren.


Denn ich bin sicher, dass es Marianne gut tut!

Auch du kannst einige Techniken schnell lernen! Im Artikel "Was bedeutet basale Stimulation?" findest du einige Anregungen für den "täglichen Gebrauch".

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