Aus der Praxis – Jola’s Alltagserfahrungen
Essen will (wieder) gelernt sein!
Eine unserer Bewohnerin ist mit ihren 81 Jahren schon sehr demenzkrank. Als sie vor ca. 1,5 Jahren zu uns kam, war ihr Zustand schon sehr schlecht. Sie konnte zwar den Gesprächen noch einigermaßen folgen und auch selbstständiges Essen war noch möglich. Aber ihre Erinnerungen waren schon weitgehend erloschen und auch das Gehen fiel ihr sehr schwer.
Die Familie war glücklich, sie nun in guten Händen zu wissen. Auch wenn jedem klar war, das sich der Zustand nicht verbessern würde, fühlte es sich doch für alle gut an, die Versorgung der Mutter gesichert zu sehen und sich gleichzeitig von einer großen täglichen Sorge zu befreit zu haben.
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Die Betreuung im Heim tut allen gut - auch der Familie!
Die liebevolle Obhut, die auch für die Angehörigen unserer Bewohner spürbar ist, hilft, den Schritt von der häuslichen Pflege hin zum Pflegeheim für sich selbst zu akzeptieren und besser zu verarbeiten.
Waltraud war also nun bei uns, bekam ihr Zimmer und fügte sich allmählich in das Alltagsleben unserer Residenz ein. Sie fühlte sich offensichtlich pudelwohl und genoss die Gesellschaft der anderen Bewohner und unseres Teams.
Dennoch baute sie ziemlich schnell ab. Gehen konnte sie nach wenigen Monaten gar nicht mehr, sie war sehr schnell auf einen Rollstuhl angewiesen.
Auch das selbständige Essen fiel ihr zunehmend schwerer. Aufgrund der Demenz vergaß sie einfach, wie das geht.
Demenzkranke vergessen wie man isst
Waltraud war also auch bei diesem menschlichen Grundbedürfnis auf unsere Hilfe angewiesen. Zu den Essenszeiten holten wir sie ab und rollten sie zu ihrem Platz im Speiseraum.
Beim Essen wurde ihr von nun an geholfen. Das bedeutet, dass sich einer aus unserm Team ihrer annimmt, sich neben sie setzt und ihr Löffel für Löffel anreicht.
Für uns keine ungewöhnliche Entwicklung und auch eine sehr schöne Aufgabe, da man ganz automatisch mit der jeweiligen Person in nahen Kontakt tritt.
Auch Waltraud akzeptierte die neue Situation sehr schnell und genoss Unterhaltung und Gesellschaft. Auch natürlich keine echten Gespräche möglich sind, so freut man sich doch über jede kurze Antwort und jedes Lächeln.
Und dennoch ging es weiter bergab. Trotz dieser intensiven Betreuung und der positiven Resonanz vergaß Waltraud allmählich das schlucken. Sie machte den Mund zwar auch und ließ sich Nahrung zuführen, behielt dann aber das Essen einfach im Mund und schaute mich fragend an!
Unglaublich, wenn man bedenkt, dass man die lebensnotwendige Tätigkeit „Essen“ sein gesamtes Leben völlig automatisch und ganz allein durchgeführt hat!
Schluckbeschwerden können gefährlich werden!
Nun wurde es ein echtes Problem! Denn es droht unter diesen Umständen die Gefahr des Erstickens!
Wenn so etwas vorkommt, müssen wir also schnell reagieren und die Nahrung wieder aus dem Mund entfernen. Wir probieren dann immer wieder, wie wir dem betroffenen Bewohner zum Essen bringen können, müssen aber sehr aufpassen.
Das Fatale ist, dass auch flüssige Nahrung nicht angenommen wird. Der Effekt ist der gleiche: Waltraud würde ersticken, der Schluckmechanismus will einfach nicht mehr!
Natürlich werden solche Vorkommnisse bzw. Entwicklungen akribisch dokumentiert und sofort den Angehörigen mitgeteilt.
In diesem Fall reagierten die Angehörigen sehr besonnen. Wir stellten ihnen natürlich alle Optionen die sich für einen Bewohner mit Schluckstörungen ergeben, ausführlich dar. Mehr zu diesen Optionen findest du im Artikel „XXX“.
Die Angehörigen jedenfalls entschieden sich dazu, Waltraud nicht unnötig mit Maßnahmen zu belasten. Infusionen zum Erhalt des Flüssigkeitshaushalts wurden zugestimmt.
Letztendlich war diese Entscheidung schon eine Art von Abschied.
So lag Waltraud also in ihrem Zimmer am Tropf. An Aufstehen oder Gesellschaft war nicht mehr zu denken. Sie war zu sehr geschwächt.
Dennoch wollten wir nicht aufgeben. Waltraut wirkte noch so wach und voller Lebenslust. Ihre Augen und ihre wenigen Worte, die sie ab und zu sagte, zeigten uns, dass sie noch längst nicht aufgegeben hatte!
Jede Ablenkung verschlimmert das Problem!
Also war es nun an uns, dafür zu sorgen, dass Waltraud wieder essen möchte.
Unsere Idee war es, Waltraud von allen möglichen Ablenkungen, die es selbst in einem so kleinen Speiseraum mit nur ca. 10 Plätzen gibt, fernzuhalten. Wir hatten die Vermutung, dass Waltraud sich einfach nicht genug auf das Essen konzentrieren konnte und die Hoffnung, dass durch mehr Ruhe beim Essen auch die Schluckfunktion wieder aktiviert werden könnte.
Also ließen wir ihr die Mahlzeiten in der Küche passieren und brachten ihr das Essen in dieser Form in ihr Zimmer. Dort sorgten für eine sehr ruhige, angenehme und liebevolle Atmosphäre. Das Anreichen des Essens konnte hier also noch entspannter und völlig ohne jeden äußerlichen Einfluss versucht werden.
Und siehe da: Die ersten kleinen Erfolge ließen nicht lange auf sich warten! Stück für Stück, Löffel für Löffel, Woche für Woche lernte Waltraud wieder zu schlucken! Sie kam auch nach einigen Monaten wieder zu Kräften! Was für eine riesige Überraschung auch für ihre Familie!
Selbst das gemeinsame Essen im Speiseraum ist wieder möglich. Natürlich wird das Essen weiterhin angereicht und manchmal hat sie auch kleine Schluckstörungen.
Dennoch ist Waltrauds Leben wieder ein Stück lebenswerter geworden.
Weitere Infos zum Thema "Essen mit Demenzkranken" findest HIER.